Peter Schmieder: Faust
Habe nun, ach!
Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit
heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor !
Und bin so
klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und
ziehe schon an die zehn Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine
Schüler an der Nase herum
Und sehe, daß wir nichts wissen
können !
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich
gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und
Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder
vor Hölle noch Teufel
Dafür ist mir auch alle Freud
entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht
ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu
bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der
Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich
der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch
Geheimnis würde kund;
Daß ich nicht mehr mit saurem
Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich
erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau alle
Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten kramen.
Was sucht ihr, mächtig und
gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo
weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären
wag ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tönt;
Und doch,
an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück
mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß
Auf
mich herab in ernster Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones
Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
Ein
unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich, durch Wald und Wiesen
hinzugehn,
Und unter tausend heißen Tränen
Fühlt ich mir
eine Welt entstehn.
Dies Lieb verkündete der Jugend muntre
Spiele,
Der Frühlingsfeier freies Glück;
Erinnrung hält
mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt
zurück.
O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die
Träne quillt, die Erde hat mich wieder!
Vom Eise befreit sind Strom und
Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale
grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner
Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet
er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer kornigen Eises
In Streifen
über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein
Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie
mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier
Sie nimmt geputzte
Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt
zurückzusehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes
Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die
Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger
Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks und
Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der
Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger
Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich
die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der
Fluß, in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen
bewegt,
Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte
Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider
an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes
wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich
Mensch, hier darf ich's sein!
Geschrieben steht: »Im Anfang
war das Wort !«
Hier stock ich schon ! Wer hilft mir weiter fort
?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß
es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet
bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste
Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile !
Ist es der Sinn,
der alles wirkt und schafft ?
Es sollte stehn: Im Anfang war die
Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was,
daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich
Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat !
Faust I
Der Einsamkeiten tiefste schauend
unter meinem Fuß,
Betret' ich wohlbedächtig dieser Gipfel
Saum,
Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft
An klaren Tagen
über Land und Meer geführt.
Sie löst sich langsam, nicht
zerstiebend, von mir ab.
Nach Osten strebt die Masse mit geballtem
Zug,
Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.
Sie teilt sich
wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
Doch will sich's modeln. - Ja ! das
Auge trügt mich nicht ! -
Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich
hingestreckt,
Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,
Ich
seh's! Junonen ähnlich, Leda'n, Helenen,
Wie majestätisch lieblich
mir's im Auge schwankt.
Ach! schon verrückt sich's! Formlos breit und
aufgetürmt
Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich,
Und spiegelt
blendend flücht'ger Tage großen Sinn.
Doch mir umschwebt ein
zarter lichter Nebelstreif
Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und
schmeichelhaft.
Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher
auf,
Fügt sich zusammen. - Täuscht mich ein entzückend
Bild,
Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?
Des
tiefsten Herzens frühste Schätze quellen auf:
Aurorens Liebe,
leichten Schwung bezeichnet's mir,
Den schnellempfundnen, ersten, kaum
verstandnen Blick,
Der, festgehalten, überglänzte jeden
Schatz.
Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,
Löst
sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin
Und zieht das Beste meines
Innern mit sich fort.
Ein Sumpf zieht am Gebirge
hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch
abzuziehn,
Das Letzte wär' das Höchsterrungene.
Eröffn'
ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu
wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar;
Mensch und Herde Sogleich
behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels
Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern
hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum
Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang
eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz
ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich
Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so
verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein
tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem
Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich
sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen
Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. -
Im Vorgefühl von solchem
hohen Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.
Faust II
last changes 19.07.2008, Peter Schmieder